Dieter Bertsch war 15 Jahre als Agiler Coach tätig und der erste Certified Scrum Master bei der Allianz Deutschland. Er ist mittlerweile aus Altersgründen nicht mehr beruflich aktiv, versucht aber weiterhin, sein Wissen über Agilität einzusetzen und zu verbreiten. Als Vater von vier Söhnen war Schulausbildung ein wichtiges Thema für ihn – und da gibt es Nachholbedarf für Kompetenzen wie Zusammenarbeit, Kreativität, Kommunikation und kritischen Denken, die für die Zukunft von entscheidender Bedeutung sind. Mit eduScrum® – maßgeblich entworfen von Willy Wijnands, einem niederländischen Lehrer – lernte Dieter eine Variante von Scrum kennen, Agilität in die Schule zu bringen. Dieses Vorgehen erlaubt es Schülerteams,
- ihre Aktivtäten zur Bewältigung der Lerneinheiten selbst zu bestimmen
- durch einen festen Rhythmus frühes Feedback zu bekommen
- eigenständig den Fortschritt im Auge zu behalten
- Änderungen flexibel einfließen zu lassen und
- sich sowohl fachlich wie auch in ihrer Persönlichkeit weiter zu entwickeln
Lerninhalte werden dabei wie ein Projekt organisiert. Die Lehrkraft stellt eine Aufgabe, indem sie das „Wozu“ und das „Was“ erklärt; die Schüler:innen bestimmen in Teams – selbstorganisiert – über das „Wie“. Ähnlich wie Scrum ist eduScrum® ein Framework aus Rollen, Zeremonien, Artefakten und Regeln, die auf den schulischen Kontext zugeschnitten sind. Bewährte „Tools“ sind das Arbeiten in Sprints mit Reviews und Retrospektiven sowie einem Task-Board („Flap“ genannt), das Transparenz über den Stand der Arbeiten herstellt. Und natürlich gibt es ein regelmäßiges Stand-Up-Meeting.
Elke ist Lehrerin für Biologie und Sport. eduScrum® erschien ihr für ein Projekt-Seminar „Blühende und essbare Schule“ geeignet, das sie in der Jahrgangsstufe 11 mit zwölf Schüler:innen starten wollte. Es ging darum, das Erscheinungsbild und den CO2-Ausstoß der Schule zu verbessern. Dieter erklärte sich bereit, sie und die Schüler:innen bei der Aufsetzung des Vorgehens zu unterstützen. Gemeinsam erstellten sie ein zweistufiges Konzept: In einer ersten Phase sollte jedes Schülerteam drei Ideen entwickeln (leicht, mittel, utopisch) und dabei Einflussfaktoren wie Hilfsmittel, Kosten, Genehmigungen, Zeitaufwand und externe Unterstützung betrachten. Von diesen Ideen sollte eine ausgewählt und dann in der 2. Phase umgesetzt werden.
Gesagt, getan. Im September 2021 startete das Projekt mit einer Einführungsveranstaltung von Dieter, in denen er den Schüler:innen und Elke das Vorgehen erläuterte. Weiter ging es mit der Teambildung, bei denen die sog. Teamcaptains sich ihre Teams anonym aufgrund von Stärken-Profilen auswählen durften, was bei den Schüler:innen gut ankam „Jede:r hat seinen Teil zum Teamergebnis beigetragen. Die Arbeit war produktiver als mit Leuten, die sich schon von Anfang an gut kennen“, erzählt Jennifer.
In den Sprints, die ohne Dieter stattfanden, waren die Erfahrungen mit der Methodik unterschiedlich. „Es war schwierig, da wir nur ca. 1,5 Stunden pro Woche für die Projektarbeit zur Verfügung hatten und die Meetings ziemlich zeitintensiv waren. Die Retros haben wir weggelassen. Die Pflege des kompletten Boards fanden wir zu aufwändig, aber unsere Tasks haben wir beibehalten“, erinnert sich Daniel. Die Erfahrungen mit Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit waren durchwachsen, manchmal „echt nervig“. Aber die Schüler:innen fanden einen Weg, damit umzugehen. Es war für sie ein tolles Gefühl zu spüren, dass ihre Lehrerin ihnen die Erledigung der Aufgabe zutraute und sie deshalb mehr Freiheiten hatten als im üblichen Schulalltag. „Uns wurde viel Verantwortung überlassen, das war ein echter Ansporn“, findet Moritz. Jennifer, Daniel und Moritz sind sich einig: „Wir haben jetzt eine begrünte Fläche auf dem Pausenhof. Wir sind doch froh, dass das P-Seminar sichtbare Spuren hinterlassen und zur Verschönerung beigetragen hat.“
Elke blickt zurück: „eduScrum® hat sich bewährt, weil es den Schüler:innen einen klaren Rahmen für die Entfaltung ihrer Kreativität gesetzt hat.“ Für sie haben sich aus dieser ersten Erfahrung mit eduScrum® Impulse für andere Bereiche gegeben, in denen sie nun unter Einhaltung von Randbedingungen, die sie für die Notenvergabe braucht, mehr Freiraum in die Unterrichtsgestaltung integriert.
Dieter fasst seine Erfahrungen so zusammen: „Ein relativ prozesslastiges Verfahren wie eduScrum® braucht die kontinuierliche Betreuung durch einen erfahrenen Coach. Dann kann man in Lernsprints arbeiten und die Retrospektiven zur Verbesserung des Vorgehens nutzen.“ Um das Vorgehen zu „verschlanken“, beschäftigt sich Dieter gerade mit einer anderen Variante, Scrum im Unterricht einzusetzen. Agile Classrooms des amerikanischen Certified Scrum Trainers John Miller. Diese Alternative nimmt weniger Anpassungen an Scrum vor, und das Framework lässt sich flexibler einsetzen, was den Grad der Verantwortungsübergabe an die Schüler:innen und auch den Grad der Kooperation zwischen den Schüler:innen angeht. Dieses Framework vermeidet „Formalismus“ dadurch, dass die verschiedenen Komponenten nacheinander eingeführt werden können und somit leichter verdaulich für Lehrer:innen und Schüler:innen sind. „Man merkt, dass hinter diesem Ansatz tiefes agiles Verständnis und viel Erfahrung in unterschiedlichen Kontexten steckt“, urteilt Dieter.
Dieser Ansatz wird mit dem ‘The Agile Educator Guide – An Agile Framework for Modern Education’ von der Scrum Alliance unterstützt.
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